Dienstag, 2. Oktober 2007

Überdrehter Teaser

Noch ein kleiner Nachtrag, es geht um den Text "Hurra, hurra, die Weltmeister sind da" auf stern.de, in dem die Jubelfeier für die Fußball-Weltmeisterinnen beschrieben wird. Fällt mir nur auf, weil es ein klassischer überdrehter Teaser ist, ein Vorspann, der mehr Interesse weckt als der Text inhaltlich hält.

Versprochen wird mir:

"Die deutsche Frauen-Fußballnationalmannschaft kann besser schießen und köpfen als tanzen und singen. 20.000 Menschen bereiten dem alten und neuen Weltmeister auf dem Frankfurter Römer trotzdem einen begeisternden Empfang. Der Festakt im Kaisersaal bietet allerdings auch einige wenige weltmeisterliche Erscheinungen."

Puh, was erwarte ich für Abscheulichkeiten jetzt, was für Orgien, verkorkste Metaphern, peinliche, alkoholgeschwängerte Reden, kniggefeindliches Betragen. Was ich dann lese, ist das betuliche Protokoll eines durchschnittlichen Events mit laut Bericht offenbar mediokren Akteuren. Da hat die Redaktion in mustergültigem, und von uns im neben stehenden FES-Gutachten beschriebenen Sinne überdreht in ihrer Ankündigung. Hat gewirkt. Ich habe geklickt.

Biedersinn im Bundle

Ich kannte mal einen netten Pressesprecher von web.de, der mir oft erzählte, dass web.de auf dem Wege sei, ein ernsthaftes Nachrichtenportal zu werden. Sogar einen dpa-Mann habe man verpflichtet.

Der Pressesprecher ist nicht mehr da und die Ansage scheint Schnee von gestern zu sein - oder zumindest wird der dpa-Mann offenkundig unterjocht, wenn ich mir die Themenauswahl anschaue, die Tag für Tag auf diesem eigentlich wichtigen Portal zu sehen ist, das ich für seine E-Mail-Funktionen sehr schätze.

In der Nussschale finden sich hier alle Klicksäue, Seichtigkeiten und Quotenbringer, die gerade zum Instrumentarium einer gewieften Online-Redaktion zählen. Schlicht gestricktes Programm, sicherlich erfolgreich, wenn man über die fiesen Tricks der Billigflieger schreibt, die Rollenverteilung von Mann und Frau mit recht hanebüchenen, biederen oder misslungen ironischen Tipps (die von MensHealth stammen, was es nicht besser macht) und die mittlerweile nicht mehr ganz taufrische Berichterstattung voller Häme über die unvermeidliche Paris Hilton. Schade, dass ich aktuell auf der Homepage dieses wichtigen Groß-Portals weder etwas finde über Putins Finten, doch noch an der Macht in Russland zu bleiben. Oder über das Aufsehen erregende Buch von Joschka.

Liebe Kollegen aus den anderen Redaktionen: Was web.de liefert, ist leider der Stoff, aus dem die Klicks sind. Dieses populäre Sammelsurium - und das meine icht ernst - bringt Quoten, und macht jedes Angebot garantiert verwechselbar (-;

Dienstag, 4. September 2007

Bedeutet Evolution des Onlinejournalismus = Bürgerjournalismus?

Also wenn man liest, dass sich Redakteure künftig mit der 1:1-Kommunikation austoben sollen, so kommt man doch ins Grübeln. Braucht man dafür ausgebildete Redakteure, um mit Lesern zu chatten? Oder sind Redaktionen nicht auch weiterhin ein Massenkommunikator, wie ich kürzlich auf Handelsblatt.com geschrieben habe?

Ein Beitrag auf Readers Edition jedenfalls geht von dem Gegenteil aus. Demnach sei die Aufgaben der Redaktionen, die neuen Ressourcen (Blogs, etc.) zu nutzen, um mit Bloggern und Augenzeugen in Kontakt zu treten, die durch die neuen Technologien und das Internet eben doch oft viel schneller seien, als ein Reporter, der erst an die Stelle des Geschehens geschickt werden müsse.

Werkkanon sagt dazu: Abwarten, bis alle am chatten, bloggen und diskutieren sind und wer dann noch Zeit hat, seriöse Geschichten und Enthüllungen zu recherchieren und in angemessenem Sprachstil zu vermitteln. Es bleibt spannend.

Donnerstag, 9. August 2007

Heute wechseln wir mal die Seiten

Neben der Medienschelte gibt es auch Aktionen, wo man die Medienbetreiber und Redaktionen einmal richtig in Schutz nehmen möchte. Vor allem dann, wenn sie ungewollt vor ganz komischen Entscheidungen stehen: Momentan gehen in den Redaktionen Deutschlands päckchenweise Erotikartikel ein. Bestellt? Von wegen.

Eine PR-Aktion, die in jedem Fall die Redaktionen vor eine Frage stellt: Wegwerfen (heißt, der Verseder wird mutmaßen, dass die Ware gefallen hat). Zurücksenden (heißt, der Versender wird mutmaßen, dass die Redakteure für den vermeintlichen Scherz zu spießig sind). Drüber berichten? (Heißt: Der PR-Gag ist direkt aufgegangen.) Schauen wir mal, ob jemand drauf reinfällt und wer der Erste ist... Gut dass es entlarvende Journalisten wie Thomas Knüwer gibt. Wäre nicht das erste mal, dass sich so eine Aktion genau ins Gegenteil verkehrt. Gefunden bei der lieben Indiskretion Ehrensache.

Wir befragen uns selbst

Vor ein paar Tagen habe ich ja über die Segnungen und Flüche von Multimedia sinniert. Ich habe ein neues, insgesamt eher betrübliches Beispiel entdeckt, dass es den deutschen Zeitungen ganz ernst damit ist, Fernsehen zu machen - oder zumindest Bilder zu produzieren.

sueddeutsche.de interviewt den Wirtschafts-Ressortleiter der Zeitung, Ulrich Schäfer, zum Bahnstreik. Der schlägt sich ordentlich, fühlt sich der Körpersprache und Intonation nach zu urteilen etwas unwohl in der Rolle des Online-Kaspers - und ist eben nicht der Mann, den ich zum Thema hören will.

Nein, ich will als verwöhnter Fernsehzuschauer den Gewerkschaftschef Schell oder den Bahnchef Mehdorn oder wenigstens deren Sprecher und Büchsenspanner hören, aber eben nicht einen wackeren Journalisten, der mehr oder minder gut mit dem Thema befasst ist.

Das ist das Problem von uns Journalisten im Internetzeitalter - die Selbstreferenzialität, wir befragen uns zunehmend selbst und nehmen uns als Kronzeugen unserer eigenen Thesen...

Mittwoch, 1. August 2007

Wo das Web zu sich selbst findet

Es gibt bekanntermaßen Themen, bei denen das Medium Online zu sich selbst findet. Lotto ist so ein Beispiel, das Wetter auch und zum Beispiel Sex. Die Klicks, die durch das Reizwort Sex generiert werden, lässt sich keine - noch so seriöse - Online-Redaktion entgehen. Und wenn sich Sex mit den ebenso klickträchtigen Rankings koppeln lassen, dann wird eine besonders fette Klicksau erzeugt. Kostprobe: Die 237 guten Gründe für Sex. Findet sich aktuell weit oben bei Süddeutsche, Stern, Spiegel, FAZ.

Multimedia

Zeitungsverleger haben einen Traum. Sie wollen weg vom Papier und multimediales Internet machen. Das Ziel ist klar: Es gibt eine Nachricht und die soll auf möglichst vielen Kanälen verbreitet werden. Der Journalist soll nach dem Willen vieler Verleger zur eierlegenden Wollmilchsau werden, die Radio, Fernsehen, Zeitung, Web macht. Oft erschöpfte sich diese Multimediaoffensive bisher in mehr oder minder gelungenen Podcasts oder in hölzernen, schlecht vorgetragenen Nachrichtensendungen. Was ja auch kein Wunder ist. Wer gute Artikel schreibt, schneidet noch lange keine guten Fernsehbeiträge; wer gut recherchiert, hat noch lange keine schöne Radiostimme. Dem Mittelmaß wird der Weg bereitet; der mediokre Journalist der Zukunft macht alles mögliche - und nichts richtig gut. In welche Richtung die Reise geht, zeigt jetzt exemplarisch stern.de. Die große UIli-Hoeneß-Story wurde - in recht brauchbarer Qualität - mitgeschnitten, Teile des Videos stehen im Netz.

Dienstag, 31. Juli 2007

Beklagenswerte Fundsachen

Die heutige Homepage von web.de, immerhin eines der wichtigsten Portale Deutschlands, ist an Irrelevanz kaum zu überbieten. Sex sells, ich muss es immer wiederholen. Ganz vorne bei der Unterminierung klassischer Nachrichten-Tugenden, gewissermaßen Antipoden der Ausrichtung nach Relevanz, sind die verlegerisch ungebundenen Portale wie web.de und T-Online und Yahoo ja immer. Aber heute wird es besonders deutlich. Topgeschichten bzw. Aufmacher in den Screens in der oberen Bildschirmhälfte bei web.de sind heute: Immer mehr Deutsche gehen fremd, Immer mehr Veganer lehnen Sex mit Fleischessern ab. Wer mir jetzt Prüderie oder Lamento vorwirft und sagt, das seien doch lustige Meldungen, möge einen Blick auf die anderen Top-Storys werfen: Binsen wie "Entspannung hilft bei Stress", zweifelhafte Storys wie "Daniel Tammett kann sich 22.000 Ziffern merken" und die vollkommen unnötige singende Paris Hilton. Das ist also die Quintessenz eines Nachrichtentages. Diese beklagenswerte, quotenträchtige Nachrichtenauswahl können auch die als Feigenblatt erwähnten Brände auf den Kanaren nicht antagonisieren.

Montag, 30. Juli 2007

Wider den Stachel gelöckt

Heute mal nicht das gängige Lamento. faz.net koppelt sich mutig von den Quoten ab - und macht einen Text zum Aufmacher, der sich nur an Relevanz und überhaupt nicht am Leserinteresse orientiert. Es geht darum, dass die Staatsbank KfW die Mittelstandsbank IKB, die sich bei Immobiliengeschäften verspekuliert hat, vor dem Kollaps schützt. Ein wirtschaftlich hoch bedeutsames Thema. Das Publikum wird diese erfreuliche Form der Leserführung, die auf eine längst vergangene Zeit des Journalismus referenziert, vermutlich nicht goutieren (-;

Mittwoch, 25. Juli 2007

Stern zerschossen?

Ich frage mich, ob die Website des "Stern" gerade zerschossen ist. Zerschossen - für alle Nicht-Onliner - heißt, dass irgendwas in der Seitenstruktur schiefgelaufen ist: aufgrund von schlechter Programmierung oder Pannen im Zentralrechner. Es sieht einfach so aus, als seien die Rubriken Politik oder Wirtschaft verschluckt worden.

Nicht anders kann ich mir erklären, dass "stern.de" - unterhalb des berechtigten Aufmachers über Blutdoping bei der Tour der France - tatsächlich aufmacht mit der Alkoholfahne von Lindsay Lohan (überflüssige Geschichten über uninteressante Leute Lindsay Lohan, Paris Hilton, Kate Doherty, Britney Spears landen immer ganz oben in den wahren Klickstatistiken, die aber viele Redaktionen unter dem Deckel halten).

Und dieser Quatsch, obwohl es Dutzende wichtiger und auch besserer Nachrichten gibt. Neben Lindsay steht der gern geklickte Texte "Bier, Bass und Busen - eine Mallorca-Reportage" (eine Titten-Galerie). Bringt Quote, spiegelt keineswegs die Relevanz des Tagesgeschehens - aber bietet ungefähr alle wichtigen Klickfaktoren im Netz auf. Und ist daher ein Lehrstück für professionell gemachten, quotenorientierten (aus meiner Sicht: schlimmen, seichten und bedauerlichen) Netz-Journalismus.

Nicht nur Platzierung, Nachrichtenfaktoren und Thema bestimmen die Durchschlagskraft einer Nachricht, haben wir in unserer Studie für die Ebert-Stiftung geschrieben. Auch die Präsentation oder „Verpackung“ entscheidet über die Einschaltquote. „Sex: Wie die Deutschen verhüten“ ist ein Beispiel für eine Überschrift, die der Leser mit Sicherheit wahrnehmen wird. Hier wirken Reizwörter. Und das machen die Kollegen von "stern.de" gut. In unserer Studie haben wir geschrieben (S. 79): "In den Anrissen und Überschriften vieler Nachrichten finden sich häufig Schlüsselwörter wie Eklat, Drama, Skandal, Sex, Reizwörter wie Blutbad, brüllen, geil oder Superlative („Die besten“, „Die größten“, „Die schmutzigsten“, „Gigantischer...“). Diese Reizwörter sind die eigentlichen Klick-Magnete."