Montag, 30. April 2007

Gekaufte Reichweite über Amokläufe

Wer die Businessweek vom 7. Mai aufschlägt, findet eine Story "Buying Clicks to a Tragedy" und der Unterzeile: "How news outfits boost Web traffic when stories like Virginia Tech break"

Alle kauften kräftig bei Google und Yahoo ein um Reichweiten einzusammeln: New York Time, Washington Post, CNN und auch das Time Maganzine. Der Amoklauf wurde nicht nur zum Medienevent, sondern regelrecht zur Cash-Cow.

"Mit stetig wachsenden Einnahmemöglichkeiten durch Onlinenews drängen die Marktteilnehmer ihre Onlinereporter um große Storys", schreibt BusinessWeek.

Dass Tragödien zum Marketingevent werden, erscheint so lange okay, wie persönliche Schicksale nicht aufgebauscht und zur Sensation hochgespielt werden, um Arbitrage-Gewinne einzufahren. Spätestens dann sollte ein Redakteur doch Bescheid sagen...?

In der Woche der Virginia Tech-Tragödie kosteten Google-Anzeigen zum Thema, die beispielsweise „Virginia Tech massacre“ als Keywords hatten, dem Magazin zufolge rund fünf Dollar pro Klick. Eine Woche später sank der Preis auf fünf Cent.

Experten verwenden spezielle Techniken um Redakteure auf eine optimale Darstellung der Artikel zu schulen. Dies funktioniert besonders gut durch den Einsatz von einschlägigen Überschriften.

Tolle Leistung.

PS: Welt.de kauft seine Reichweite dann doch lieber über seichte und unverfängliche Themen ein und hat dazu extra ein Knut-Special aufgesetzt:

Sonntag, 29. April 2007

Wie der "Stern" seine Partnervermittlung pusht

Übrigens liefert stern.de heute auf einem Aufmacherplatz wieder ein Beispiel dafür, wie die Grenzen zwischen Kooperationen und Redaktion verwischen bzw. wie - angetrieben durch kommerzielle Interessen - irrelevante, wenngleich klickträchtige Themen prominente Plätze auf bedeutsamen Homepages erobern... der redaktionelle Beitrag als Vehikel, um gewerbliche Kooperationen, in diesem Fall offenbar die Parship-Partnervermittlung und verwandte Angebote, zu promoten!

Wortreich angefeatured heißt es da: "Single-Umfrage Weblich, ledig, jung sucht... Wie wichtig sind Männern die Kochkünste der Frauen? Muss der Mann von heute noch den Alleinversorger geben? Mehr als 10.000 Singles befragte die Online-Partnervermittlung Elitepartner.de, um herauszufinden, was einsame Herzen wirklich begehren"

Die so genannte Umfrage bei stern.de ist im wesentlichen eine belanglose und biedere Bildergalerie...

In unserem Gutachten für die Ebert-Stiftung haben wir das Problem aufgegriffen: "Das Problem im Internet besteht im Aufkommen neuer Werbeformen und Finanzierungsmodelle, die die Abgrenzung zwischen Werbung und redaktionellen Beiträgen unmöglich machen. Die Ideen dazu sind vielfältig: Inmitten von Artikeln der Redaktion wird, oft kaum abgesetzt, für Shops und Produkte geworben oder auf Bestellmöglichkeiten für Bücher verwiesen. Ob die entsprechenden Links von der Redaktion auf Seriosität geprüft wurden oder ob die Redaktion durch Provisionsmodelle an Geschäftsabschlüssen mitverdient, bleibt verborgen.Vorreiter dieser Praxis, Marketing und Redaktion zu vermischen, sind Angebote wie „T-Online“ und „Bild.de“. Angeblich erzielt „Bild.de“ durch Provisionserlöse einen Großteil seiner Einnahmen. Der Nutzer verliert im Vergleich zur klar gekennzeichneten und getrennten Anzeige in Zeitung oder Magazin den Überblick. Im Online-Layout mit der Flut an Bannern, Links und Buttons ist die Verflechtung zu einem undurchsichtigen Dickicht angewachsen" (...) "Nimmt die Redaktion den Auftrag eines Werbekunden an, verstärkt Inhalte für die Kampagnen in einer Rubrik oder einem gesponserten Special zu produzieren, kann sie schnell in einen Teufelskreis geraten: Zum einen verdrängt das Interesse des Anzeigenkunden – beispielsweise an Texten zum Thema Autos – jene Themen, die nach redaktioneller Gewichtung im Vordergrund stehen müssten – die Website wird im Zweifelsfall also unattraktiv oder stellt im schlimmeren Fall ein Zerrbild der tatsächlichen Nachrichtenlage dar. Zum anderen erhöht sich der Druck auf die Redaktion, Leser gerade in die aus Sicht der Werbekunden attraktiven Bereiche zu lotsen."

Freitag, 27. April 2007

Stolze BBC-Online-Redaktion

"Es gibt keinen besseren Arbeitsplatz", zitiert sueddeutsche.de die Chefredaktion der Londoner BBC Online. "Junge Journalisten werden in ein paar Jahrzehnten voller Hochachtung auf unsere Epoche zurückblicken, auf die fundamentalen Veränderungen, die hier vonstattengingen", sagt Paul Brannan, stellvertretender Chefredakteur der BBC Newswebsite im Interview.

Die Story führt aber im Folgenden zwei interessante Aspekte auf - auch in England haben Online-Websites so ihre Probleme:

1. Wie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland wird das BBC-Portal durch Rundfunkgebühren refinanziert und steht von Seiten der Gebührenzahler unter Beschuss, die das Onlineangebot nicht nutzen.

2. Auch in Enland sind Online-Journalisten derzeit noch nicht besonders hoch angesehen, denn nach dem Universitäts-Massaker in Virginia seien zunächst alle Fernseh- und Radio-Nachrichten versorgt worden, bevor dann auch eine Analyse für die Onlineausgabe abgefallen sei.

Das ist bei uns ja ähnlich.

PS: Ach ja, Wichtiges vom Tage: Russischer Milliardär kauft J. Lo, 16 Bilder zur Diva auf Reisen. Enjoy.

Mittwoch, 25. April 2007

Ist das Reichweitentool ein Mittel für den Leserdialog?

Professor Klaus Meier von der Uni Darmstadt rezensiert das Gutachten und kommt zum Schluss, dass wir mit der Studie zum Thema "Qualität im Netz" in alte Denkmuster verfallen: In seinem Blog heißt es: "Es ist ja richtig, dass der Boulevard im Online-Journalismus zugenommen hat und dass der ökonomische Druck auf Online-Redaktionen viele ungute Auswüchse hat. Aber das ist eben nur die eine Seite. Wie unsere Studie zur Verwendung der Klickzahlen in Online-Redaktionen zeigte, sind sich die Online-Journalisten der Gefahr weitgehend bewusst. Und: Diese Tools können auch zum Qualitätsmanagement eingesetzt werden (z.B. bei der Frage wie komplexe Themen am besten geteast werden können). Der Journalismus hatte ja traditionell keinen Kontakt zum Publikum, was Gotz und Langenbucher schon in den 60er Jahren mit dem wegweisenden Buch “Der missachtete Leser” kritisierten. Range und Schweins verfallen in die alten Muster: Das Publikum und seine Wünsche sind der Feind des guten Journalismus. Sinnvoller ist es, die Bedürfnisse des Publikums ernst zu nehmen und Quotentools reflektiert zur Optimierung des Qualitätsjournalismus einzusetzen. Leider gibt es in dem kulturpessimistischen Haudraufgutachten dazu kaum Hinweise."

Danke für die Kritik. Nur mit Kritik kommt man in eine ernsthafte Diskussion.

Ein genauer Blick auf die von Professor Meier benannte Studie zeigt folgendes Fazit:

"Fast alle Befragte betonen, es sei eine zu kurzfristige Strategie, würde man die Klicks durch eine verstärkt boulevardeske Ausrichtung hochschrauben wollen. Diese Einschätzung führen die Journalisten auf die Annahme zurück, dass sich das Publikum von Informationsmedien abwendet, wenn es sie als weniger seriös und glaubwürdig einschätzt. Der langfristige Erfolg einer Nachrichten-Website hängt demnach davon ab, dass Vertrauen und Glaubwürdigkeit aufgebaut werden können."

Genau so sehen wir das auch. Und genau das differiert zum Status Quo!

Nun stellen sich folgende Fragen:

Warum ist heute ein Behördisch-Quiz Aufmacher bei Spiegel Online? Ist dies dem mündigen Klicken und der qualitativen Auswertung von Messinstrumenten wie Reichweitentools geschuldet? Kommt man so in einen Leserdialog?

Warum integriert die Süddeutsche Online heute ein Sommerreifen-Special mit Bildern aus Pirelli-Kalendern in den Header ihrer Site? Ist dies ein Fortschritt, der sich aus dem Leserdialog ergibt? Oder warum glauben Sie, steht das dort?

Warum hat n24 Online auf der Homepage ein Simpsons-Quiz und im Kontext ein Knut-Quiz?

Wenn man nun von alten Denkmustern spricht: Ist es denn das, was die Leser wollen? Ist das Leserdialog? Die Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung geht über die Kenntnisse des Verhaltens von Lesern weit hinaus. Sie ordnet das oben exemplarisch beschriebene Verhalten, das realiter auf den Startseiten stattfindet, in ein umfassendes Reichweiten- und Wahrnehmungsproblem und eine daraus resultierende Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein.

Die Klick-Quote allein für den Leserdialog zu halten und darauf zu vertrauen, dass Themen nicht nach Quote, sondern nach "Long Tail" gewählt werden, greift hier wiederum viel zu kurz. Das sind zudem Erkenntnisse, die die Redaktionen bereits vor etlichen Jahren vollzogen haben. Diese Lernkurve ist wenig hilfreich für die Zukunft, in der sich (teure) Redaktionen mit einer zunehmenden Medienvielfalt auseinandersetzen müssen.

Probleme und Fehlentwicklungen muss man beim Namen nennen dürfen - auch wenn dies für manche unbequem erscheinen mag. Besitzstandswahrer werden sich jedenfalls mit reinen Quoten keine qualifizierte Leserschaft erschreiben können. Das gelingt mit einer Qualitätsoffensive und dem Konzentrieren auf klare Kompetenzen. Und das dies unter ökonomischen Gesichtspunkten eine wachsende Aufgabe ist, lässt sich wohl kaum abstreiten. Oder?

80 Prozent der Blogs sollen verseucht sein

Medienhandbuch.de berichtet unter Referenzierung auf computerwoche.de über eine Analyse eines Sicherheitsdienstleisters, dass Weblogs vor anstößigen Inhalten wie Pornographie, vulgären Ausdrücken, und Hasstiraden nur so strotzen. Computerwoche.de verwendet im Titel ein ganz tolles, leider aus der Mode gekommenes Wort dafür: "...mit Unflat überschwemmt". Der Auswertung des "Global Threat Report" nach wiesen im März 2007 rund 80 Prozent der Blog-Sites anstößige Inhalte auf. Um als anstößig eingestuft zu werden, reichte es allerdings, wenn eine Site ein einziges Posting mit einem vulgären Ausdruck enthielt. Werkkanon, das Blog, das ja den Finger in die Wunde von Reizwörtern auf redaktionellen Websites legt, würde demnach dazu gehören. So zieht Medienhandbuch.de denn auch den Schluss, man solle nur den Statistiken glauben schenken, die man selbst gefälscht hat.

Einer Einschätzung von Mathias Müller von Blumencron zufolge, immerhin Chefredakteur von Spiegel Online, liegt die Quote wertloser Blogs noch viel höher. Erinnert sei hier an sein Interview, das er der Redaktion von onlinejournalismus.de im Oktober 2004 gab und in dem es heißt: "... heutzutage muss eben alles Blog heißen. Dazu kommt, dass 99 Prozent der Blogs einfach nur Müll oder zumindest journalistisch einfach nicht relevant sind. Es handelt sich um eine interessante Entwicklung, die aber den Journalismus nicht grundsätzlich verändern wird." Fehleinschätzung. In der Realität bedrohen gute Blogs durchaus die redaktionelle Kompetenz. Zweieinhalb Jahre später gehören Blogs zum Recherchereservoir von Journalisten und stellen deren Glaubwürdigkeit gleich reihenweise in Frage.

Im Internet hat sich inzwischen eine riesige Grauzone um den Journalismus herum gebildet. Subsumiert wird der Boom von Weblogs und sozialen Netze bekanntermaßen unter dem Schlagwort „Web 2.0“. Dieser Begriff beschreibt Veränderung von Kommunikationsbeziehungen zwischen Website-Anbietern und Website-Nutzern. Die Nutzer erschaffen die Inhalte selbst oder erstellen sie im Kollektiv. Ob diese neuen Angeboten auch wirtschaftlich erfolgreich sind, muss sich erst noch zeigen. Ende 2006 beeindruckten sie in erster Linie durch ihre große Reichweite. Die Umsätze hielten sich in Grenzen.

Fast alle klassischen Medienunternehmen wollen auf den Zug aber inzwischen aufspringen, wie beispielsweise die BBC: Surfer sollen Texte, Musik und kleine Videos auf die BBC-Site stellen und austauschen. Von Spöttern wird das Projekt als BBC 2.0 bezeichnet. Auch der Nachrichtensender CNN fordert inzwischen seine Zuschauer auf, eigene Nachrichtenfilme zu erstellen und sie auf die eigens dafür eingerichtete Website CNN Exchange zu laden.

Die wachsende Beliebtheit neuer Übertragungsformen zeigt auch Auswirkungen auf die Online-Ableger der Printmedien in Deutschland. Vordergründig darin, dass Verlage sich der neuen Stilformen, insbesondere Weblogs, Videoblogs und Podcasts wie elektrisiert bedienen, im Bestreben, modern zu wirken. Zahlreiche Verlage betreiben redaktionell begründete Weblogs im Internet. Häufig allerdings ohne sich mit der Blogosphäre zu vernetzen, was den Sinn eines Weblogs ad absurdum treibt, hätte doch in diesem Falle ein klassisches Artikelformat gereicht.

Ein hoher Anteil der Blogger und Peer-to-Peer-Anbieter interpretiert wiederum die eigene Rolle als journalistisch, die Nutzer sind von einem Sendungsbewusstsein beseelt. Selbst wenn die meisten Blogger diesem Ansspruch nicht gerecht werden, ist nicht von der Hand zu weisen, dass den klassischen Medien durch die Akteure und Protagonisten der neuen Darstellungsformen (nicht nur zahlenmäßig) starke Konkurrenten erwachsen.

Redakteuren, Chefredakteuren und wird ein Teil ihrer Macht und Deutungshoheit genommen. So stellt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz fest: „Wir beobachten derzeit eine Art Entthronung der Meinungsführer. Es gibt zwar noch jede Menge Kommentare und Meinungen, aber wir orientieren uns nicht mehr an Meinungen, sondern nur noch an Themen.“

Dienstag, 24. April 2007

Die 100 besten Biere der Welt als Bilderstrecke auf sueddeutsche.de

...der arme Tropf bei der Süddeutschen, der das zusammendengeln musste ;-)

Danke für den Verweis auf unsere Studie an Stefan Niggemeier in seinem Beitrag. Danke zudem für den Beitrag des Netzjournalisten. Danke schließlich beiden Blogs für den anschaulichen Verweis auf die lustige Galerie der Kollegen von der Süddeutschen. Und wer die ganzen Biere jetzt durchklicken möchte, kann dies hier tun: Prosit!

PS: Spon's Rindvieh Uschi ist auch nicht schlecht ;-)

dpa hat was ausgebuddelt: Italienerin sprang nackt in Trevibrunnen

Ist das nicht Wahnsinn, was die Nachrichtenagentur dpa da recherchiert und rausgefunden hat? "Italienerin sprang nackt in Trevibrunnen in Rom" - wow.

Laut der Deutschen Presseagentur gab es demnach eine "nackte Kopie von La dolce Vita, weil eine 40-jährige Italienerin unbekleidet im weltberühmten Trevibrunnen gebadet hat. Die Meldung hat es zum Aufmacher bei Web.de geschafft.

Wenigstens hatte sie einem Urteil der Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" zufolge ein unschuldiges Lächeln und eine nette Art", sonst wäre diese Meldung ja auch nicht meldenswert gewesen. Und: Die Badende hat offenbar den fotografierenden Flaneuren zugewunken. Das Team von Werkkanon wird den Autor dieser Meldung für den Pulitzer-Preis vorschlagen. Mindestens.

Montag, 23. April 2007

Bei Myspace gibt's jetzt News

Das zum Medienkonzern News Corp. von Rupert Murdoch gehörende Community-Portal MySpace erweitert sein Angebot um aktuelle Nachrichten, berichtet der Branchendienst kontakter.de. Der neue Dienst "MySpace News" ähnelt Google News.

Mitglieder können ihre Top-News selbst wählen. Im nächsten Schritt wird es neben den aktuellen globalen Nachrichten auch regionale News und Veranstaltungshinweise geben.

Sonntag, 22. April 2007

"Behördisch-Quiz" erobert Aufmacherplatz bei Spiegel Online

Habt Ihr im gedruckten Spiegel schon mal ein Ankreuz-Quiz gesehen? Nein? Würde der Spiegel mit einem Ratespiel auf der Titelseite aufmachen?

Spiegel Online jedenfalls tut's (Kurz unter Prinz Harry als fünftwichtigstes Thema des Tages;-). Auf in die Betroffenheitsjournalismus-Klickschleuder: Enjoy

Samstag, 21. April 2007

Klicks, Quoten, Reizwörter - Das Vorwort der Studie zum Blog

Klicks, Klicks, Klicks: Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist erschienen!

Als die Autoren für die Online-Site der Wirtschaftswoche arbeiteten, stellten sie sich häufig die Frage, ob es zwangsläufig hilfreich ist, die Einschaltquote einzelner Artikel im Minutentakt abrufen zu können. Denn dadurch offenbarten sich bittere Wahrheiten. Der schnöde Text einer Nachrichtenagentur, versehen mit einer schmissigen Überschrift, wurde lieber gelesen als viele mühsam recherchierte Wirtschafts-Analysen. Seichte Themen erbrachten stets höhere Einschaltquoten als gewichtige News. Eine Mailänder Modenschau – ergänzt um eine Bildgalerie und in viele Teile zum Weiterklicken filettiert – stach jeden seriös betitelten Wirtschafts-Artikel aus.

Staunend blickten die Autoren auf ihre Kollegen vom Leitmedium »Spiegel Online«. Deutschlands wichtigste Online-Redaktion erreichte ihre hohen Einschaltquoten eben nicht nur mit politischer Berichterstattung, sondern hob unbekümmert das Dschungelcamp oder Paris Hiltons Sex-Video auf die Homepage. Damals entstand die Idee, das Mediengebaren im Netz, die Jagd nach Klicks, zu dokumentieren.

Der Hintergrund ist ernst. Krawall- und Sensationsjournalismus und seichte Unterhaltung haben die auf Seriosität bedachte unaufgeregte Berichterstattung in den Hintergrund gedrängt. Boulevard und Information sind im Netz ein Bündnis eingegangen. So verwundert es nicht, dass der gedruckte »Spiegel« in seiner Titelgeschichte nach einem Jahr großer Koalition Bilanz zieht, während »Spiegel Online« gleichzeitig die Millionärsmesse in Moskau für aufmacherwürdig erachtet. Offenbar unter Billigung der mündigen Leserschaft: »Spiegel Online« jedenfalls ist erfolgreich. Fast alle Redaktionen ahmen das Modell mittlerweile nach, schreiben für die Spaßgesellschaft und bedienen sich lustvoll aus dem Werkzeugkasten des Edelboulevards.

Die Verfasser wollen sich nicht gemein machen mit jenen, die Entertainment im Journalismus per se verachten oder Unterhaltung als Synonym verstehen für Qualitätsverlust. Der Gegensatz von Information ist nicht Unterhaltung, sondern Manipulation und Fälschung. Doch wenn selbst Nachrichten, Faktenwissen und Börsenkurse einem Primat der Unterhaltung unterworfen werden, befindet sich der Qualitäts-Journalismus alter Schule in
ernster Gefahr.

Online-Redakteure sind Getriebene in diesem Spiel. Die Schlagzahl geben Unterhaltungsportale und Suchmaschinen vor. Das ist das Ergebnis jener Recherche, die die Autoren mehrere Monate lang durchs Internet und in zahlreiche Online-Redaktionen führte.

Im Ergebnis legen sie ein Gutachten vor, das Fehlentwicklungen im Online-Journalismus skizzieren und für Laien verständlich erklären soll, wie Internet-Redaktionen ticken. Die Verfasser halten es dabei mit Glotz und wollen mit der vorliegenden Studie die Schweigevereinbarung des »Positive Thinking« brechen. Es soll nicht länger das Diktum gelten: Lasst uns um Gottes Willen nicht durch die Prognose kritischer Entwicklungen verunsichern. Tatsächlich ist das Internet die »größte Bedrohung für den vertrauten Journalismus«.

Wenn der Online-Journalismus einem seichten Massengeschmack zum Durchbruch verhilft, wenn am Ende dieser Entwicklung formatierte, verwechselbare, gleichgeschaltete Nachrichten-Sites stehen, die sich überwiegend aus Agenturen speisen, so muss dies gesagt werden.

Die komplette Studie kann auf den Seiten der Friedrich-Ebert-Stiftung unter www.fes.de/medienpolitik/ abgerufen werden als PDF-Dokument. Wir freuen uns auf Eure Kritik und spannende Diskussionen hier im Blog!

Freitag, 20. April 2007

Jetzt auch in Frankreich: Nackt auf Seite eins

Auch in Frankreich wird aktuell diskutiert: Denn offenbar gibt's dort bald eine "Bild à la française"

Rund zwanzig Journalisten arbeiten offenbar an einem Projekt namens "Bild à la française", schreibt Gregor Waschinski von der Berliner Zeitung. Inhalt: Skandale, Klatsch und Sport für 50 Cent das Exemplar.

Springer kommentierte etwaige Spekulationen bislang nicht. Das Land kennt keinen klassischen Boulevardjournalismus. In dem lesenswerten Artikel, der auch die Struktur des französischen Zeitungsmarktes beleuchtet, heißt es: "die Revolverblätter aus Deutschland oder England mit ihren nackten Titel-Girls und aggressiven Schlagzeilen gelten nicht nur unter Intellektuellen als publizistischer Super-GAU."

Ach ja - ganz wichtig, da ein weiteres Thema unserer Zeit!!! Knut geht es gut!

Mittwoch, 18. April 2007

Rekord ohne relevante Wettbewerber

Immer mehr Deutsche informieren sich online. Im ersten Quartal 2007 hat die Nutzung von Nachrichten-Portalen im Internet laut dem Branchenverband Bitkom ein neues Allzeithoch erreicht. Die 20 erfolgreichsten Seiten in Deutschland wurden in dieser Zeit insgesamt rund 900 Millionen Mal besucht.

Ein Plus von 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und der höchste Quartalswert aller Zeiten.

Demnach wird der der Boom der Nachrichten-Seiten im Internet vor allem von klassischen Medienhäusern getragen, die aktuell ihre Online-Angebote ausbauen. Was der Branchenverband außen vor lässt, ist die Tatsache dass Portale wie T-Online oder web.de bei der IVW-Zählung, auf der diese "Rekordzahlen" beruhen, nicht mitmachen. Die Auswertung, welche Newsportale wie viele Leser und Nutzer erreichen, sieht nämlich nach Angaben des Onlinevermarkterkreises ganz anders aus.

Die Bitkom-Quartalszahlen setzen sich aus den 20 meistbesuchten Nachrichten-Portalen des jeweils angegebenen Zeitraums zusammen. Sie spiegeln den relevanten Teil des Marktes wider. Nachrichten-Portale wurden dabei als Seiten definiert, die ausschließlich und tagesaktuell zu Politik-, Wirtschafts-, Sport- oder Fachthemen berichten und an der Zählung der IVW teilnehmen.

Montag, 16. April 2007

Französische Politiker lassen sich das Wahlprogramm von Internetnutzern (mit-)schreiben

Wahlkampf im Web: Das Netz bin ich

Frankreichs Wahlkämpfer spielen nach einem Bericht von sueddeutsche.de Internauten und haben erkannt, dass es ohne Blog und Webseite nicht geht.

Frankreichs Politiker haben demnach ihre Internetlektion gelernt: und zwar vor zwei Jahren auf die schmerzhafte Art. Während das Establishment in den klassischen Medien größtenteils für ein Ja zur EU-Verfassung eintrat, agitierten die Gegner im Web.

Gegen die polemischen Blogs, über die abstruse Verschwörungstheorien verbreitet wurden, hatten "brav-informative" Webseiten der Parteien kaum eine Chance. Unterschätzt hatten die Politiker ebenfalls die Macht des menschlichen Mitteilungsbedürfnisses. Wie eine Epidemie breitete sich danach die Negativstimmung aus. Ein Beweis dafür, wie viel gute Berichterstattung auch online ist und wie sie wirken kann...

Der Braunbär wurde abgeschossen, Knut bekommt ein eigenes Magazin

Jetzt dreht die Medienszene komplett durch: Branchendienst Kress.de berichtet, dass Springers Boulevard-Zeitung "B.Z." am 14. April das große Knut-Album als offizielles Magazin zum Eisbären-Baby herausbringt.

Das Heft ist laut Kress eine Gemeinschaftsproduktion mit dem Berliner Zoo und 64 Seiten stark. Im Heft gibt es viele Knut-Fotos und Infos zu Eisbären. Das Magazin soll sechs Euro kosten.

Nun eine Frage: Wenn Bären so süß sind, dass ihnen ein eigenes Magazin gewidmet wird. Warum hat "JJ" kein Magazin? Zur Erinnerung - es ist nicht ein Jahr her, da wurde der "Grenzgänger-Braunbär" abgeschossen...

Auch die Website von Prosieben berichtet, welchen Hype die Bärenstory erlebt: Hollywoodstar Leonardo DiCaprio hat demnach mit Knut einen prominenten Co-Star auf der Titelseite der US-amerikanischen Zeitschrift "Vanity Fair" bekommen, berichtet die dpa. Der hätte sich wohl auch mal mit JJ1 zusammensetzen sollen.

Hier gilt wie so oft: Die Themen der Zeit sind seicht, unwichtig und den Lesern wird Irrelevanz in Perfektion zugemutet.

Lesenswert auch, was Handelsblatt.com im Ad-hoc-Blog schreibt...

Sonntag, 15. April 2007

Der gebildete Internet-Leser - weder sprunghaft noch unkonzentriert

Eine aktuelle Studie des Poynter Instituts für Journalismusforschung in Florida förderte jüngst überraschendes zutage: Ein in Redaktionen häufig verwendetes Vorurteil über Online-Leser ist hinfällig: Leser im Netz sind nicht sprunghaft oder weniger auf den Artikel konzentriert, den sie gerade lesen.

Zeitungsleser lesen im Schnitt zwischen 57 und 62 Prozent eines Textes. Bei Online-Geschichten sind es stolze 77 Prozent. Rund zwei Drittel der Online-Leser, die einen Artikel begonnen haben, lesen diesen auch zu Ende.

Texte auf redaktionellen Online-Portalen werden somit ausführlicher zu Gemüte geführt als in gedruckten Tageszeitungen.

In der Studie wurden je hundert Leser von vier Offline- und zwei Online-Portalen befragt und gestestet. Bei der Nutzung der entsprechenden Medien wurden vor allem Blickbewegung analysiert. Als Medien wurden zwei Tageszeitungen (St. Peterburg Times und Star Tribune Minneapolis) als Print- und Online-Ausgabe gewählt. Dazu kamen zwei Print-Ausgaben von Boulevard-Blättern.

Bei der Analyse der Blickbewegungen wurden sowohl online als auch offline zwei Arten von Lesern ausgemacht: Der methodische Leser, der einen Text von oben nach unten liest, Passagen wiederholt, nichts überfliegt und im Online-Bereich mithilfe Navigationselementen gezielt Texte ansteuert. Und der Scanner, der zuerst Schlagzeilen und andere Elemente überfliegt, Fotos oder andere Elementen betrachtet und nicht mehr zum zuerst Gelesenen zurückkehrt. Er liest Teile von Texten.

Die Vorgehensweise der Testpersonen steht übrigens fast im Gegensatz zu dem oben beschriebenen: Denn 75 Prozent der Print-Leser gehen sehr methodisch vor. Bei den Online-Lesern sind es lediglich 50 Prozent. Scanner oder Stöberer sind im Online-Bereich weitaus häufiger zu finden als bei gedruckten Zeitungen.

Dabei zeigen sich online bezüglich der gelesenen Textmenge zwischen methodischen Lesern (78 Prozent) und Scannern (77 Prozent) kaum Unterschiede. Bei Boulevard-Blättern lesen die "Methodischen" 66 Prozent der Texte, die Scanner nur 45 Prozent.

Weitere Hintergründe zur Poynter-Studie gibt es hier.