Komme gerade aus Asien zurück und habe in der Tageszeitung "Shanghai Daily" eine recht interessante Rezension gelesen über das Buch "The cult of the amateur" von Andrew Keen, ein Internetunternehmer, der mit Weblogs und Bloggern hart ins Gericht geht. Das Buch kennen wahrscheinlich einige von Euch, ich habe es aber ausgerechnet erst in der Blogger-Diaspora China entdeckt (-;
Keen kritisiert vor allem jene abermillionen Blogger, die mit ihren Nichtigkeiten einen schier endlosen Dschungel der Mittelmäßigkeit ("endless digital forest of mediocrity") erschaffen. Darüber hat sich eine spannende Diskussion entwickelt.
Das bringt mich auf die Idee, zu einem der von den Lesern am meisten kritisierten Punkte in unserem Gutachten für die Ebert-Stiftung Stellung zu nehmen. Wir haben die These aufgestellt,"dass von Laien betriebene Vor- und Scheinformen von Journalismus in Gestalt sozialer Netzwerke und Weblogs sich als Bedrohung für den redaktionell betriebenen Journalismus erweisen" (S. 83).
Viele Blogger haben sich darüber beschwert und uns (als bei Zeitungen ausgebildeten und in klassischen Verlagen tätigen Redakteuren) Konservativismus, besitzstandswahrendes Denken und einseitige (Print-)Perspektive vorgeworfen. Sie legten unsere These dergestalt aus, dass wir Blogs per se als Bedrohung für journalistische Internetangebote ansehen, die den Qualitätsjournalismus unterminierten. Davon kann angesichts der vielen hervorragenden Weblogs wie bildblog überhaupt keine Rede sein, im Gegenteil!
Unsere Darstellung ist nicht gegen Blogger gerichtet, sondern eher ein Weckruf an rückwärtsgewandte Verleger, die das Internet und Web 2.0 müde belächeln und glauben, allein der Verweis auf 100 Jahre Tageszeitung genüge zu deren Legitimation und als ewiger Jungbrunnen. Um es klar zu sagen: Verleger und Chefredakteure müssen runter vom hohen Ross. Die Leser lechzen mitnichten nach halbgaren Leitartikeln und hyperventiliert und schlampig aus Nachrichtenagenturen zusammengestrickten Zeitungsaufmachern! Der Siegeszug vieler Weblogs und anderer Neben-, Vor- und Scheinformen des Journalismus, das Aufkeimen eines lebhaften Parajournalismus, belegen ja gerade, in welcher Sinn- und Vetrauenskrise viele hauptberuflich verwaltete, verlegerisch ausgerichtete Medien stecken.
Wenn aber als Konsequenz daraus die Bedeutung von Blogs und anderen partizipatorischen Formen im Netz zunimmt, muss erst recht Kritik an diesen medialen Darstellungsformen erlaubt sein. Die Einhaltung journalistischer Qualitätsstandards muss immer dann konsequent eingefordert werden, wenn Blogger die Rolle von Redakteuren einnehmen (wollen). Und Kritik übt Keen in seiner Polemik nicht zu knapp.
Eigentlich bringt er viele bekannte Argumente noch einmal griffig auf den Punkt, wenn er etliche Blogger als "intellektuelle Kleptomanen" brandmarkt, als digitale Diebe, die ungeprüft Gerüchte weiterreichten. Neu ist der Vorwurf nicht. Auf einer Tagung warnte der Berliner Literaturwissenschaftler Hans-Joachim Neubauer bereits 2006 davor, dass sich die Mediengesellschaft an der "Schwelle zu einem neuen Zeitalter des Gerüchts" befinde. Und Irmela Schneider stellte eine "Renaisscance des Gerüchts" in den Medien fest, etwa in der Berichterstattung über vermutete Terrorakte (ddp, 2.10.2006).
Außerdem warnt Keen vor Gleichmacherei und Gleichschaltung, Holzschnittartigkeit und Belanglosigkeit vieler im Netz gesetzter Themen. Auch das ein bekannter, deshalb aber nicht minder bedeutsamer Vorwurf. Auch Internet-Visionär Jaron Lanier hat mehrfach vor dem Internet als "Kulmination stumpfen Kollektivismus" gewarnt und dem Schwarmgeist der Netz-Community die Weisheit abgesprochen (Der Spiegel 46/2006).
Was die Ausrichtung am Massengeschmack, die Befriedigung des Nutzerschwarms, aus journalistischer Perspektive bedeutet, lässt sich tagtäglich wirkmächtig in der Nachrichtenauswahl der T-Onlines, Yahoos, WEB.DEs und MSNs nachvollziehen.
3 Kommentare:
Nur ein Link von mir zu einer Rezension des Buches in der New York Times.
http://www.nytimes.com/2007/06/29/books/29book.html (Registrierung nötig)
RJ
Ah ja - weil die Online-Angebote der JOURNALISTEN im Netz sich konsequent an einem strunzdämlichen Massengeschmack und am Klickrattenrennen ausrichten und als Meinungsbildner kaum noch Zuspruch finden, deshalb kann man daran mal sehen, was die Blogger für unterbelichtete Leute sind. Dolle These! Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wer bei stern.de oder focus.de herumklickt, der ist eher kein Blogger. Und die schönsten Gerüchte und faustdicken Lügen finden sich immer noch bei BILD, Platz genug für ein Dutzend journalistische Ethik-Kommissionen.
Ihr müsst doch von Blogs auch gar nicht die Einhaltung jener 'journalistischen Qualitätsstandards' einfordern, die ihr selbst tagtäglich unterlauft - s. die meterdicken Sündenfalldokumentationen bei Niggemeier o. Knüwer -. Wieso wollt ihr das? Blogs sind doch kein 'Journalismus', auch kein 'Bürgerjournalismus'. Die neuen Mikromedien sind eine interaktive, ungeheuer schnelle, dabei eher literarische Spielform, mit der man unter anderem auch journalistische Genres parodieren und kommentieren kann. Es ist der Abschied von und die Ironisierung der Gatekeeper-Medien. Wohin das noch führen wird - ja, Herrgott!
Manchmal denke ich ja, das Ross, auf dem ihr Journalisten reitet, das ist so hoch, dass ihr euch schon gar nicht mehr hinunterzukrabbeln traut.
@chat... du hast recht: viele sitzen noch auf dem ross, ich nicht. "Ironisierung der Gatekeeper-Medien", das gefällt mir. aber tatsächlich gibt es doch den (verkappten/verbrämten) anspruch einiger blogger, einen angeblich besseren, ehrlicheren, urwüchsigen journalismus zu betreiben.
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