Sonntag, 1. Juli 2007

Lesetipp, Schwarmgeist, stumpfer Kollektivismus

Komme gerade aus Asien zurück und habe in der Tageszeitung "Shanghai Daily" eine recht interessante Rezension gelesen über das Buch "The cult of the amateur" von Andrew Keen, ein Internetunternehmer, der mit Weblogs und Bloggern hart ins Gericht geht. Das Buch kennen wahrscheinlich einige von Euch, ich habe es aber ausgerechnet erst in der Blogger-Diaspora China entdeckt (-;

Keen kritisiert vor allem jene abermillionen Blogger, die mit ihren Nichtigkeiten einen schier endlosen Dschungel der Mittelmäßigkeit ("endless digital forest of mediocrity") erschaffen. Darüber hat sich eine spannende Diskussion entwickelt.

Das bringt mich auf die Idee, zu einem der von den Lesern am meisten kritisierten Punkte in unserem Gutachten für die Ebert-Stiftung Stellung zu nehmen. Wir haben die These aufgestellt,"dass von Laien betriebene Vor- und Scheinformen von Journalismus in Gestalt sozialer Netzwerke und Weblogs sich als Bedrohung für den redaktionell betriebenen Journalismus erweisen" (S. 83).

Viele Blogger haben sich darüber beschwert und uns (als bei Zeitungen ausgebildeten und in klassischen Verlagen tätigen Redakteuren) Konservativismus, besitzstandswahrendes Denken und einseitige (Print-)Perspektive vorgeworfen. Sie legten unsere These dergestalt aus, dass wir Blogs per se als Bedrohung für journalistische Internetangebote ansehen, die den Qualitätsjournalismus unterminierten. Davon kann angesichts der vielen hervorragenden Weblogs wie bildblog überhaupt keine Rede sein, im Gegenteil!

Unsere Darstellung ist nicht gegen Blogger gerichtet, sondern eher ein Weckruf an rückwärtsgewandte Verleger, die das Internet und Web 2.0 müde belächeln und glauben, allein der Verweis auf 100 Jahre Tageszeitung genüge zu deren Legitimation und als ewiger Jungbrunnen. Um es klar zu sagen: Verleger und Chefredakteure müssen runter vom hohen Ross. Die Leser lechzen mitnichten nach halbgaren Leitartikeln und hyperventiliert und schlampig aus Nachrichtenagenturen zusammengestrickten Zeitungsaufmachern! Der Siegeszug vieler Weblogs und anderer Neben-, Vor- und Scheinformen des Journalismus, das Aufkeimen eines lebhaften Parajournalismus, belegen ja gerade, in welcher Sinn- und Vetrauenskrise viele hauptberuflich verwaltete, verlegerisch ausgerichtete Medien stecken.

Wenn aber als Konsequenz daraus die Bedeutung von Blogs und anderen partizipatorischen Formen im Netz zunimmt, muss erst recht Kritik an diesen medialen Darstellungsformen erlaubt sein. Die Einhaltung journalistischer Qualitätsstandards muss immer dann konsequent eingefordert werden, wenn Blogger die Rolle von Redakteuren einnehmen (wollen). Und Kritik übt Keen in seiner Polemik nicht zu knapp.

Eigentlich bringt er viele bekannte Argumente noch einmal griffig auf den Punkt, wenn er etliche Blogger als "intellektuelle Kleptomanen" brandmarkt, als digitale Diebe, die ungeprüft Gerüchte weiterreichten. Neu ist der Vorwurf nicht. Auf einer Tagung warnte der Berliner Literaturwissenschaftler Hans-Joachim Neubauer bereits 2006 davor, dass sich die Mediengesellschaft an der "Schwelle zu einem neuen Zeitalter des Gerüchts" befinde. Und Irmela Schneider stellte eine "Renaisscance des Gerüchts" in den Medien fest, etwa in der Berichterstattung über vermutete Terrorakte (ddp, 2.10.2006).

Außerdem warnt Keen vor Gleichmacherei und Gleichschaltung, Holzschnittartigkeit und Belanglosigkeit vieler im Netz gesetzter Themen. Auch das ein bekannter, deshalb aber nicht minder bedeutsamer Vorwurf. Auch Internet-Visionär Jaron Lanier hat mehrfach vor dem Internet als "Kulmination stumpfen Kollektivismus" gewarnt und dem Schwarmgeist der Netz-Community die Weisheit abgesprochen (Der Spiegel 46/2006).

Was die Ausrichtung am Massengeschmack, die Befriedigung des Nutzerschwarms, aus journalistischer Perspektive bedeutet, lässt sich tagtäglich wirkmächtig in der Nachrichtenauswahl der T-Onlines, Yahoos, WEB.DEs und MSNs nachvollziehen.

Samstag, 30. Juni 2007

dpa, ungeprüft

Unsere These belegend, dass in Online-Redaktionen häufig Agenturmaterial ungeprüft, ohne gegenrecherche und ohne zweite Quelle übernommen wird, hat Christoph Schultheis im Blog von Stefan Niggemeier heute einen höchst lesenswerten Blogeintrag verfasst. Absoluter Lesetipp! Und leider kommt kein renommiertes Online-Medium dabei gut weg. Es geht um das Übernehmen einer Bild-Zeitungs-Meldung, die von dpa falsch aufgegriffen wurde und so auf allen wichtigen Portalen zu lesen ist...

Donnerstag, 28. Juni 2007

Was diese Woche durchs Dorf getrieben wird...

"Deutsche für Abschaffung der Winterzeit". Ausgerechnet vom Spiegel, wahlweise Seite 18 oder hier.

Ja Klasse! Dann dürfen wir uns schon auf Nachrichten über Unpünktlichkeit im Büro freuen, weil im Dezember die Sonne erst um 9 Uhr aufgeht.

Nur so zur Info: Sommerzeit bedeutet, die Uhr um eine Woche vorzustellen. Winterzeit gibt es nicht, nur Normalzeit - das ist, wenn die Sonne mittags am höchsten und um Mitternacht am tiefsten steht.

Wir bedanken uns bei den Fachredakteuren von Deutschlands Qualitätsmagazin Nummer Eins für die intelligent beauftragte TNS-Umfrage!

Oh Mann...

PS: Dank an H.A. für den Hinweis
PPS: Welt Online ist heute reichweitentechnisch ganz groß unterwegs: Acht gründe, warum Stars sich ausziehen und 102 Fotos dazu. Enjoy...

Mittwoch, 27. Juni 2007

Stirbt Print aus?

Achim Berg, Microsoft-Geschäftsführer in Deutschland, hat laut einer kurzen Meldung auf fr-online.de die Printmedien als Teil einer "aussterbenden Gattung" bezeichnet.

Seine Gründe:

Das Internet ändere die Struktur der Medien radikal.

Die Zukunft gehöre dem Bewegbild im Web. Drei Milliarden Videostreams würdem monatlich weltweit im Internet angeschaut und die Zahl werde sich in den kommenden drei Jahren vervierfachen.

Für den klassischen Medienkonsum würde immer weniger Zeit zur Verfügung stehen.

Das regt zur Diskussion an: Greift Ihr weniger zu Zeitungen oder Magazinen, weil Ihr mehr mit dem Computer beschäftigt seid?

Vormarsch der Social Networks

Die sozialen Netzwerke sind im Netz weiter auf dem Vormarsch und beanspruchen Nutzerzeit für sich. Aktuell habe ich einen Bericht auf Handelsblatt.com veröffentlicht, in dem es um spezialisierte Portale geht - im speziellen um Seniorenportale wie Eons.com, ThirdAge.com und das jüngst in Deutschland gestartete Netzwerk Platinnetz.de. Ein Lesetipp, zu dem es hier geht. Enjoy!

Montag, 25. Juni 2007

Internet-Werbeausgaben steigen um 42 Prozent

Und noch eine spannende Meldung die wiwo.de heute veröffentlicht hat: In der dpa-Meldung heißt es, dass Werber künftig zielgerichtetere Online-Werbeformen bevorzugen. Die werbetreibende Industrie erwarte in der "zweiten Internet-Welle" (womit sicher der DSL-Boom und nicht Web 2.0 gemeint sein dürfte) eine zielgenauere Werbung und Ansprache ihrer Kunden als zu Beginn des Online-Zeitalters. Die Werber wollten weg vom Banner hin zu Werbeformen, die Kunden Service bieten. Was sie damit meinen, sind stärker context-bezogene Werbemittel, die im Rahmen von so genanntem Behavior Targeting ausgeliefert werden. Exzellent beschrieben in einem Fachbeitrag von Adtech-Chef Dirk Freytag. Eine weitere spannende Info ist in der wiwo.de-Meldung versteckt: Die Werbeausgaben im Online-Bereich sind schon wieder gestiegen. Und zwar von Januar bis Mai verglichen mit dem Vorjahreszeitraum um rund 42 Prozent auf 331 Millionen Euro. Wer da dem Online-Medium Relevanz abspricht, ist selbst schuld...

Hyperaktive Kommunikation

Herrlich erfrischend ist das, was Jochen Mai und Sebastian Matthes auf wiwo.de schreiben. Von der Hyperaktivität in der Kommunikation, von Twittern, Handybimmeln, Messengern, Blogs, Podcasts, Videos, Communitys, Chats, Alben und Foren. Und wie viel Zeit da auf der Arbeit verloren geht. "Es piept, es klingelt und vibriert überall und gleichzeitig und viele machen das alles freiwillig mit", schreiben sie. Vom Kommunizieren bis zur geistigen Flatrate. Vom Revolutionieren der Arbeitswelt und der Privatsphäre. Vom inneren Zwang, Content zu produzieren.

Schon seit längerem gehe ich davon aus, dass sich Information künftig im Netz seine Bündelungskanäle suchen wird. Netvibes und Pageflakes waren erste nette Versuche, individuelle Homepages zu kreieren. Jetzt hat auch Google mit iGoogle nachgelegt und ich prognostiziere: Künftig wird man über Google einsteigen und seine Infos sortieren, die neuen Nachrichten lesen. Für journalistische Portale wird entscheidend sein, den Anforderungen des Google-Robots zu genügen, um in den relevanten RSS-Feeds überhaupt stattzufinden. Die gehen natürlich auch danach, was die Leser sich bookmarken. Ein weiterer Ansporn, sich im Netz mit qualitativ hochwertigen journalistischen Portalen zu positionieren und dies auch über virales Marketing den Lesern näherzubringen. Und: Das ist nicht nur Bedrohung, sondern auch eine Riesenchance für redaktionelle Angebote. Wenn sie nur so gut sind, dass ausreichend Leser sie sich bei Google merken. Die Aufmerksamkeit wird aber neben redaktionellen Webseiten genauso und vielleicht noch viel mehr den Communitys gelten. Besonders denen, die es verstehen, Nutzer mit einem gemeinsamen Interesse zu verbinden.

Ich muss dabei gerechterweise erwähnen, dass ich auch selbst momentan relativ erfolgsversprechend im Bereich Community unterwegs bin. Das lenkt aber nicht vom Lesen und Nachdenken ab ;-) Meine Lieblingswebsites hab ich aber auch schon bei iGoogle eingestellt...

Freitag, 15. Juni 2007

Weischenberg irrt

Der Medienwissenschaftler Siegfried Weischenberg warnt laut einer kurzen dpa-Meldung auf dem Branchendienst "Newsroom" vor einer Kommerzialisierung des Journalismus. Der Journalismus und die Medien sind nach seiner Ansich immer mehr den Gesetzen der Kommerzialisierung unterworfen. Wichtige Themen stünden neben solchen, deren Relevanz fraglich sei. Ein Ergebnis, zu dem auch unser Gutachten im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt. Trotzdem seien die klassischen Medien wie Zeitung, Hörfunk oder Fernsehen alternativlos - und hier irrt Weischenberg leider. Denn wer in der sich in der Praxis bewegt, sieht in den Redaktionen schnell, dass diese sich am Tempo und den Themen der Online-Kollegen orientieren. Das Internet wird nach Weischenbergs Auffassung überschätzt. Nach unserer Studie und unseren darin belegten Beobachtungen ist es der Grund für den Medienstrukturwandel.

Montag, 11. Juni 2007

Fundsachen: Nackte und Ironie

Eine der überflüssigsten Bildergalerien seit langem bietet die Süddeutsche: Der nackte Block - über Radfahrer, die kleidungslos gegen den Klimawandel protestieren. Abgesehen davon, dass die Galerie in erster Linie Klicks produzieren soll, ist sie recht unoriginell betitelt und viele der Bilder sind von mieser Qualität.

Und nochmal die Süddeutsche, diesmal mit Ironie. Ich finde ja ganz viele der Ratespiele und Wissenstests hohl und öde und sinnlos. Und die Kollegen teasern ihr eigenes Quiz als Abfragerunde nutzlosen Wissens an... das hat was!

Samstag, 9. Juni 2007

Gesellenstück zum G-8-Gipfel

Kollegen verschiedener Nachrichtensites haben mir erzählt, dass der G-8-Gipfel ihnen zum Teil Rekordeinschaltquoten gebracht hat. Das macht Hoffnung und könnte Ansporn sein, Klicks einzusammeln jenseits von Paris Hilton, Adolf Hitler und Lady Di!

Die Online-Medien haben beim G-8-Gipfel aber auch alles getan, um ihre Nachrichtenführerschaft unter Beweis zu stellen und in einer Aktualität, Dichte und Tiefe berichtet, die kaum mehr eine Zeitung erreicht und das Fernsehen schon gar nicht; allen voran Spiegel Online - mit dem offenkundigen Anspruch, diesmal ein multimediales Gesellenstück vorzulegen. Übrigens unter Ausnutzung aller möglichen journalistischen Spielarten und vor allem auch jener Formate, die in dieser Schönheit nur das Web bietet - vom guten alten Forum und der obligatorischen Pic-Show über interaktive Grafiken bis zu Video. Respekt. Viele der piefigen Zeitungsredaktionen mit ihren altbackenen Gipfel-Chroniken sollten zittern.